Metamorphosen
12 Klavierstücke zu eigenen Gedichten, zum Jahrtausendwechsel auf einer Ostsee-Insel entstanden. Meditatives und Wildes, Betrachtendes und Bedrohliches finden sich in der Musik wieder.
Hildegard Beyer
Geb. 1965 in Velbert; Studium an der Folkwang - Hochschule für Musik Theater Tanz in Essen - Werden, 1991 und 1993 Diplome für Allgemeine Musikerziehung und Klavierpädagogik; Konzertauftritte, pädagogische Tätigkeit im Bereich Kammermusik und Klavier, Konzertkritiken, Veröffentlichung von Kompositionen im Waldkauz Verlag.
Lebt mit ihrer Familie seit 1996 in Langen.
Weitere Kompositionen:
METAMORPHOSEN Zwölf Klavierstücke zu eigenen Gedichten WK 2037
Diggin’ into Jazz & Pop 15 Klavierstücke WK 2016 und viele mehr
Metamorphosen
Ein Thema - drei Frauen - vier Ausdrucksformen.
Am Anfang war das Wort: zwölf Gedichte, mal streng in der Form, mal frei und assoziativ, ein pastorales Stimmungsbild voller Melancholie und Sehnsucht, voller Trotz und Glück.
Hildegard Beyer schrieb diese Gedichte zum Jahrtausendwechsel auf Fehmarn und nahm sie mit nach Hause. Doch die Themen verlangten nach mehr, suchten nach weiteren Ausdrucksformen. So geschah es fast wie von selbst, dass die Autorin sich dieses Stoffes auch in ihrer zweiten Sprache bemächtigte: der Musik. Aus den zwölf Gedichten wurden zwölf Klavierstücke, die sich auf unterschiedlichen Wegen den Texten nähern. Auch dies: mal streng in der Form, mal frei und assoziativ.
Wer will, mag vieles aus den Texten wiederentdecken in der Musik: den monotonen und durch die Punktierung fast mühselig wirkenden Rhythmus als immerwährende Schrittfolge der „Reise“ zum Beispiel oder die fröhlich-unbeschwerte Grundstimmung in „Glückstag“. Wer Programmmusik sucht, wird sicher bei der akkordischen Entsprechung der gelassenen im Meer ruhenden Steine in „Zwischenzeit“ aufhorchen oder bei den lästigen Dissonanzen der „Wanderung“, die den peitschenden Regen im Gesicht fast fühlbar werden lassen.
Doch trotz aller programmatischen Entsprechungen bleiben diese zwölf Metamorphosen von Gedichten in Musik „mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei“, wie Beethoven einst über seine sechste Sinfonie schrieb. So ist es kein Zufall, dass manches in Hildegard Beyers Klavierstücken ein wenig nach Debussy klingt, impressionistisch eben und auch verträumt. Die zwölf Klavierstücke wiegen den Hörer nicht in programmatischer Sicherheit, sondern fordern ihn auf, sich ihnen mit dem Rüstzeug seiner eigenen Fantasie zu nähern, sie zu ergänzen und so die Metamorphosen voranzutreiben und ihnen eine ganz persönliche Gestalt zu verleihen.
Brigitta Gerke-Jork und Susanne Voss, die zusammen mit Hildegard Beyer das Projekt Metamorphosen entwickelt haben, zeigen auf ihre Weise, welche weiteren Gestaltungsmöglichkeiten aus der Keimzelle des Wortes entstehen können.
Der Malerin Brigitta Gerke-Jork dienten Texte und Musik als Anregung für zwölf Gemälde und Zeichnungen, beginnend mit den spontanen Skizzen, die nach mehrfachem Erleben der Musik weiter ausgearbeitet wurden. Dabei schöpfte die Malerin aus den ihrer Kunst eigenen Gestaltungsmitteln und Techniken wie Farben, Pinselstriche und Materialstrukturen, um Musik und Text in kongenialer Weiterentwicklung mal mehr als Stimmung wie etwa in „Glückstag“, mal mehr als konkretere Transformation des Gehörten auszudrücken, wie beispielsweise im Gemälde „Reise“, das in seiner partiturähnlichen Anmutung die Musik quasi Strophe für Strophe in Einzelelemente des Gemäldes umsetzt. Brigitta Gerke-Jork variierte Formate, arbeitete auf handgeschöpftem Papier, Karton, Holz, auch auf Foto und schuf Visionen als Reaktion auf das Gehörte, die ihre Kraft aus der bewussten Spannung zwischen schauendem Abbilden und einer eigenen individuellen Bildsprache schöpfen.
Wer auf die Klavierkompositionen hört, kann in ihnen eine entsprechende Ambivalenz wiederentdecken: das Pendeln zwischen den beiden Polen konkreter und absoluter Musik.
Die beeindruckende vierte Kunstform wird in Form der Fotoimpressionen von Dorothea Schmid dokumentiert : Die Tänzerin Susanne Voss hat zu den Metamorphosen eine Choreografie entworfen, in der die Titel zu beeindruckenden Bewegungsbildern vertanzt werden und das Werk so auf eine weitere ausdruckstarke Gestaltungsebene heben. Dabei schöpft Susanne Voss aus dem vollem Repertoire ihrer umfassenden Ballettausbildung und den Erfahrungen jahrelanger künstlerischer Tätigkeit in allen Stilrichtungen vom Klassischen Tanz über Jazz- bis hin zum Modern Dance.
Mit der ihr eigenen Bewegungssprache setzt sie ihre Gefühle und Stimmungen, die beim Lesen der Gedichte und dem Hören der Musik entstanden, in körperliche Präsenz um. Allein oder mit einer oder zwei weiteren Tänzerinnen entwirft sie auf der Bühne eine variantenreiche Szenen- und Bewegungsfolge, die ganz bewusst mit den anderen Ausdrucksformen der Metamorphosen spielt, indem sie beispielsweise den Tanz mal vor, mal während oder sogar auch in der Stille nach Musik und Wort platziert. So werden Vorstellungskraft und Fantasie des Publikums auf ganz verschiedene Weise angeregt und unterschiedlich straff geleitet. So werden in der Live-Performance aber auch die Einzelstufen der Metamorphosen durcheinandergewirbelt und wie in einem Kaleidoskop neu gruppiert. Mal spiegelt der Tanz nur Stimmung und Gefühl, die keine genauere Ableitung ermöglichen wie etwa der schlichte Spaß an der Bewegung und die Ausgelassenheit in „Himmelszauber“, mal dokumentiert die Choreografie den Versuch, Schlüsselworte oder sogar den ganzen Text eins zu eins in Bewegung zu übersetzten wie beispielsweise beim Bild „Strandgedanken“.
Den Hörer und Zuschauer soll diese Vielfalt der „Metamorphosen“ nicht schrecken, sondern motivieren: Was drei Frauen mit vier künstlerischen Ausdrucksformen aus einem Thema gestalten, soll Anregung sein für das Nacherleben im Privaten. Mit diesem Projekt sind die „Metamorphosen“ deshalb nicht abgeschlossen: Sie leben weiter und entstehen immer neu und anders, wann und wo immer sich jemand auf sie einlassen will. Als Wegweiser für das ganz persönliches Erleben mag das Gedicht „Reise“ dienen, in dem es heißt: „Will ich Zufriedenheit nun finden, wend ich mich meinem Innern zu.“
Curt Rainer Cordts